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Der trügerische Traum vom sauberen Wasser


In Asien machen internationale Konzerne wachsende Geschäfte mit Mineralwasser.



(Klett)

Die 19jährige Veronica, Jurastudentin in Jakarta, kauft regelmäßig Flaschenwasser, obwohl es teuer ist. Aber das Wasser aus der Leitung sei schlicht ungenießbar: "Jedes Mal, wenn ich dieses Wasser trinke, mache ich mir Sorgen, selbst wenn ich es abgekocht habe. Warum wird bei uns kein Wasser geliefert, dass man ohne weiteres trinken kann?"

Menschen in allen Kulturen der Welt sind inzwischen davon überzeugt worden, mit dem Kauf von Flaschenwasser etwas für ihre Gesundheit zu tun, selbst dann, wenn das Wasser aus der Leitung eine hohe Qualität hat. Dies ist ein Erfolg des gewaltigen Werbeaufwandes der Produzenten. Flaschenwasser ist zum Statussymbol geworden, wird mit Sauberkeit, Reinheit und den geradezu magischen Kräften von Quellen und Flüssen in Verbindung gebracht. Da die reinen Produktionskosten minimal sind (die Flaschen sind teurer als ihr Inhalt), kann viel Geld für Werbung ausgegeben werden, die auch noch die abgelegensten Dörfer der Welt mit der Botschaft erreicht: Das wirklich gute Wasser kommt in Flaschen. Die Coca-Cola-Flasche als Symbol des globalen"Supermarktes" hat Verwandte bekommen, die leicht blau getönten Kunststoff-Flaschen, die mit Wasser gefüllt in großen Batterien vor den Läden stehen und geleert die Straßenränder dieser Erde säumen.

Es gibt kaum einen anderen Lebensmittelbereich, der weltweit so rasch expandiert wie der Verkauf von Flaschenwasser. Mehr als 90 Milliarden Liter Wasser werden jährlich in Flaschen verkauft, ein Geschäft von mehr als 35 Milliarden Euro. Der Verkauf wächst jedes Jahr um 7 Prozent, in Asien sind es sogar 15 Prozent. Beherrscht wird dieser Markt von Nestlé (Schweiz) und Danone (Frankreich), inzwischen bedrängt durch die US-Konkurrenten Coca-Cola und Pepsi. Daneben gibt es Hunderte lokaler Anbieter von Flaschenwasser. Angesichts der Liberalisierung vieler Volkswirtschaften gelingt es den "global players" immer häufiger, die kleinen Konkurrenten aufzukaufen. Oft bleiben die Marken erhalten, und wer zwischen Flensburg und Durban ahnt schon, dass so unterschiedliche Marken wie Perrier, Vittel, Fürst Bismarck Quelle und Pellegrino alle zu einem Konzern gehören: Nestlé.

In Indien wird besonders hart um die Vorherrschaft gekämpft, denn es geht um Millionen potenzieller Käuferinnen und Käufer. Noch vor wenigen Jahren beherrschte das einheimische Flaschenwasser "Bisleri" 80 Prozent des Marktes. Aber mit der Liberalisierung der Wirtschaft und der Expansion internationaler Getränkekonzerne ist der Anteil auf unter 40 Prozent gesunken. Coca-Cola vermarktet aggressiv seine Marke "Kinley", Pepsi hingegen "Aquafina". Nestlé hat den Vorteil, gleich mit mehreren Marken für unterschiedliche Käuferschichten präsent zu sein. Die Marke "Pure Life" wird lokal abgefüllt und billig über Supermärkte, kleine Geschäfte und Straßenhändler vertrieben. Die Edelmarke "Perrier" hingegen richtet sich an die Reichen des Landes, die mit den teuren blauen Flaschen aus der Schweiz ihre Zugehörigkeit zur globalen Konsumwelt sichtbar machen.

Der indische Flaschenwassermarkt wächst jedes Jahr um 30 Prozent und mehr. Das ist ein Resultat des wachsenden Wohlstands von Teilen der Bevölkerung, der schlechten Trinkwasserqualität vor allem in den Städten und nicht zuletzt der Marketingbemühungen der Industrie. Flaschenwasser ist 500 bis 1.000 Mal teurer als Leitungswasser. Von der Welternährungsorganisation FAO über die Umweltorganisation WWF bis zum Umweltbundesamt weisen viele Organisationen darauf hin, dass Flaschenwasser oft keine bessere Qualität hat als das Wasser aus der Leitung. Andernorts wiederum geht es darum, die Qualität des Leitungswassers zu verbessern, statt die Menschen, die am Rande des Existenzminimums leben, mit geschickter Werbung dazu zu bringen, das teure Flaschenwasser zu kaufen. Oft ist das Abkochen des Wassers eine preiswerte Alternative zum Griff zur Flasche.

Gerade in Ländern des Südens ist das Flaschenwasser nicht immer von gesundheitlich unbedenklicher Qualität. Das gilt besonders dann, wenn die Flaschen einfach im nächsten Fluss gefüllt werden. Internationale Marken wie "Pure Life" profitieren davon, dass sie zu Recht im Ruf stehen, unbedenklich zu sein. Sie preisen ihre Wasser für die Zubereitung von Babynahrung an. Allerdings wurde dieser Ruf beschädigt, als Perrier 1990 weltweit 280 Millionen Flaschen aus 750.000 Verkaufspunkten zurückbeorderte, weil in Flaschen Benzinreste entdeckt worden waren. Die Rückholaktion kostete 133 Millionen Dollar - globale Wirtschaftsmacht hat einen Preis, diesmal für die Produzenten des edlen Wassers.

Die Öko-Bilanz des Flaschenwassers ist negativ. Ein wichtiger Faktor ist die Herstellung von vielen Millionen Flaschen unter hohem Ressourcen- und Energieaufwand. Der Boom der Flaschen aus PVC und PET hat zum Ergebnis, dass jährlich etwa 1,5 Millionen Tonnen Kunststoff verarbeitet wird. Ebenso wirft die Produktion der Glasflaschen und Aluminiumdosen große Gewinne ab und ökologische Probleme auf.

Mit dem Transport zur Kundschaft ist ein weiterer großer Energieaufwand verbunden. Matt Philips von "Friends of the Earth" vertritt die Auffassung: "Flaschenwasser ist ein ökologischer Wahnsinn. Es ist völlig absurd, dieses sehr schwere und zugleich preiswerte Produkt in Flaschen zu füllen, die fast so viel wie der Inhalt wiegen, und das Ganze dann um die Welt zu schicken." Ein Viertel aller Flaschen überschreitet mindestens eine Landesgrenze, bevor es die Käufer erreicht. Besonders negativ ist die Bilanz bei Edel-Wässern wie"Perrier", die vom Alpenraum bis an die Enden der Welt transportiert werden. Werden die Flaschen erneut verwendet, entsteht ein zusätzlicher Transport- und hoher Reinigungsaufwand. Millionen leerer Plastikflaschen an Stränden, auf Bergen und in Naturschutzgebieten sind allerdings auch keine akzeptable Form der Entsorgung.

Zum Problem wird zunehmend die Beschaffung riesiger Mengen Wasser, die zum Reinigen der Flaschen und zu ihrer Füllung erforderlich sind. In diesem Jahr ist Coca-Cola in Indien mit massiven Protesten in Kerala konfrontiert, weil die Fabrik in Plachimada so viel Grundwasser für die Produktion von Softdrinks und Flaschenwasser entnimmt, dass die Brunnen in den Dörfern der Umgebung trocken fallen. Auch in Zeiten der Wasserknappheit fördert Coca-Cola 1,5 Millionen Liter Grundwasser am Tag. Die Bewohner wollen, dass die Fabrik geschlossen wird und sehen sich der geballten Staatsmacht gegenüber, die den ausländischen Investor nun vor dem Zorn der Protestierenden schützt.

Die Arroganz der Mächtigen kommt in diesen Sätzen eines Coca-Cola-Sprechers gegenüber der indischen Presse zum Ausdruck: "Wir haben das Land gekauft. Es gibt kein Gesetz, das uns durch Auflagen daran hindert, unser Wasser zu nutzen." Auch in der Nähe anderer Coca-Cola-Fabriken bekommen die Anwohner zu spüren, wie der Erfolg von "Kinley" und anderen Getränken sich auf den Wasserspiegel auswirkt. Dr. S. Janakarajan vom Institut für Entwicklungsstudien in Madras stellt fest: "In diesem Fall hat die lokale Gemeinschaft den Zugang zu Trinkwasser und Wasser für landwirtschaftliche Zwecke verloren zum Wohle der Versorgung von Coca-Cola. Ähnliches ist in anderen Orten passiert, wo die Industrie gemeinsame Grundwasservorräte privatisiert und verschmutzt hat."

Das Geld, das arme Familien für den Kauf des Flaschenwassers einsetzen, fehlt in anderen Bereichen wie Ernährung, Gesundheit und Bildung. Dass es nicht überall sauberes Trinkwasser aus der Leitung gibt und dass es auch andernorts der Werbung gelingt, Wasser aus der Flasche als unentbehrlich darzustellen, hat also gravierende Konsequenzen für die, die im globalen Wettkampf um Erfolg und Einkommen ohnehin schon verloren haben. Die Alternative ist klar: Sauberes (Leitungs-)Wasser für alle.


Quelle: Der trügerische Traum vom sauberen Wasser in: Welternährung. Zeitschrift der Deutschen Welthungerhilfe. 4/2002
Autor: Frank Kürschner-Pelkmann
Verlag: Deutsche Welthungerhilfe e.V.
Ort: Bonn
Quellendatum: 2002
Seite: 8
Bearbeitungsdatum: 16.02.2006
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